Reisen kann mehr sein als nur Erholung und Freizeitgestaltung. Es ist eine Form der Bildung, die unser Bewusstsein erweitert und wertvolle Erkenntnisse für die nachhaltige Entwicklung von Städten und Regionen liefert. Wenn man es sehr verkürzt zusammenfassen will, dann könnte man festhalten: Reisen bildet. Dieser Beitrag beleuchtet, wie Reiseerfahrungen unser Denken verändern und welche Impulse sie für die Stadt- und Regionalentwicklung geben können.
Die transformative Kraft des Reisens
Reisen hat eine tiefgreifende Wirkung auf unser Gehirn und unsere Persönlichkeit. Laut einer Studie der Columbia Business School fördert das Erleben fremder Kulturen bzw. das Auswandern und Leben in einem nicht-vertrauten Umfeld die kognitive Flexibilität und Kreativität. Diese geistige Beweglichkeit ist entscheidend für innovative Lösungsansätze in der Stadtplanung und Regionalentwicklung. Dr. Julia Zimmermann und Dr. Franz Neyer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben in ihrer Forschung gezeigt, dass Auslandsaufenthalte die Persönlichkeit nachhaltig verändern können. Reisende entwickeln oft eine größere Offenheit für neue Erfahrungen und eine erhöhte emotionale Stabilität. Eigenschaften, die für die Gestaltung zukunftsfähiger Städte und Regionen von unschätzbarem Wert sind.
Erfahrungen aus Reisen in der eigenen Stadt umsetzen
Reisende kehren oft mit frischen Ideen und Inspirationen zurück, die sie in ihrer Heimatstadt umsetzen möchten. Ein Beispiel hierfür ist das seit Jahren häufig in facheinschlägigen Studiengängen besprochene Konzept der Superblocks in Barcelona, das weltweit bereits zahlreiche Nachahmer gefunden hat. Dieses innovative Stadtplanungsmodell reduziert den Autoverkehr und schafft mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer, was zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Die Stadt Kopenhagen hat mit ihrem Fahrradwegenetz internationale Anerkennung erlangt. Viele Stadtplaner haben diese Ideen aufgegriffen und in ihren eigenen Städten implementiert. Das hat vielerorts zu einer Transformation urbaner Mobilität weltweit beigetragen.
Nachhaltige Konzepte ermöglichen
Man kann nachhaltige Entwicklungen für Städte (und Regionen) gezielt ermöglichen:
- Technologie und Innovation: Neue Technologien wie Big Data, Digitalplattformen, eine lebendige Gründer:innen-Szene und Industrie 4.0 schaffen innovative Geschäftsmodelle und Jobs, besonders in Städten. Urbane Zentren wie der „Seaport Innovation District“ in Boston zeigen, wie gezielte Stadtentwicklung neue Startups und Arbeitsplätze hervorbringt. Solche Technologieregionen werden zu Hotspots für Investitionen und Innovation.
- Wettbewerbsfähigkeit: Stadtentwickler:innen können die Wettbewerbsfähigkeit urbaner Regionen durch weniger Bürokratie und gezielte Förderung von Unternehmertum verbessern. Beispiele wie Kigali, Ruanda, beweisen, dass digitale Lösungen, etwa ein „One Stop Shop“ für Baugenehmigungen, Verwaltungsprozesse beschleunigen und Wirtschaftswachstum fördern.
- Kollaboration: Neue „Konsum“- und Beteiligungsformen wie Sharing-Economy-Modelle prägen die junge Generation. Projekte wie „Sharing City Seoul“ zeigen, wie kollaborative Ansätze Arbeitsplätze schaffen, Kosten senken und CO₂-Emissionen reduzieren. Nachhaltige Modelle können jedoch auch prekäre Arbeitsverhältnisse mit sich bringen und erfordern daher verantwortungsvolle Umsetzung.
- Infrastruktur und Stadtplanung: Schnell wachsende Städte riskieren Überlastung der Infrastruktur, was Wachstum und soziale Gerechtigkeit hemmt. Investitionen in Verkehr, Abfallwirtschaft, Gesundheit und Bildung sind essenziell, um Slumbildung zu verhindern. Technologie und Vernetzung, wie kostenfreies Internet in Lagos oder Bangalore, fördern Unternehmertum und Innovation in global vernetzten Märkten.
Erkenntnisse für die nachhaltige Standortentwicklung
Reiseerfahrungen können zudem wertvolle Einsichten für die nachhaltige Standortentwicklung liefern. Das „Urban Lab“ der TU Wien untersucht, wie globale Best Practices in lokale Kontexte übertragen werden können. Dabei zeigt sich, dass der Schlüssel zum Erfolg oft in der Anpassung globaler Lösungen an lokale Gegebenheiten liegt. Ein konkretes Beispiel ist die Übertragung des niederländischen Konzepts der Woonerf (verkehrsberuhigte Zonen) in andere Länder. Diese Idee, die Straßen als gemeinsamen Lebensraum für alle Verkehrsteilnehmer gestaltet, hat in vielen Städten weltweit zu einer Neugestaltung des öffentlichen Raums geführt.
Reisen bildet und ist eine Investition fürs kollektive Gedächtnis
Reisen trägt zur Erweiterung des kollektiven Gedächtnisses bei, ein Konzept, das der Soziologe Maurice Halbwachs geprägt hat. Indem wir andere Kulturen und Lebensweisen kennenlernen, erweitern wir nicht nur unser persönliches, sondern auch das gesellschaftliche Wissen. Die UNESCO betont in ihrem Programm World Heritage Education die Bedeutung des Reisens für das Verständnis des Weltkulturerbes. Dieses Wissen fließt in die Gestaltung und Erhaltung historischer Stadtbilder ein. Und es fördert ein Bewusstsein für die Bedeutung kulturellen Erbes in der Stadt- und Regionalentwicklung.
Internationale Vernetzung auf Geschäftsreisen
Geschäftsreisen spielen eine wichtige Rolle bei der internationalen Vernetzung und dem Wissenstransfer. Das „Global Cities Business Alliance“ Netzwerk zeigt, wie der Austausch zwischen Städten zu konkreten Verbesserungen führen kann. Durch den direkten Kontakt und Erfahrungsaustausch können innovative Lösungen schneller verbreitet und umgesetzt werden. Ein Beispiel hierfür ist die C40 Cities Climate Leadership Group, ein Netzwerk von Großstädten, das sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat. Durch regelmäßige Treffen und Austausch werden hier Best Practices geteilt und gemeinsame Strategien entwickelt.
Fazit: Reisen bildet und dient als Katalysator für nachhaltige Entwicklungen
Reisen ist für mich somit mehr als nur eine Freizeitaktivität. Es ist ein kraftvoller Katalysator für persönliches Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die wir auf Reisen sammeln, können tiefgreifende Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung unserer Städte und Regionen haben. Indem wir offen für neue Eindrücke sind und aktiv nach innovativen Lösungen suchen, können wir das auf Reisen gewonnene Wissen nutzen, um unsere eigenen Lebensräume zu verbessern. So wird jede Reise zu einer Investition in eine nachhaltigere und lebenswertere Zukunft für alle.
Keine falschen Rückschlüsse
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass jeder Mensch, der viel reist, auch in der Stadt- und Regionalentwicklung tätig sein könnte? Nein, denn ohne ein fundiertes Fachstudium bleibt man in diesen Bereichen oft auf der Ebene des Wiederaufgreifens bereits existierender Ideen stehen. Auch die reine Vermarktung bekannter Konzepte wird Städte und Regionen nicht dauerhaft und kaum nachhaltig voranbringen, da die Herausforderungen zu komplex sind. Regionale Statistiken zeigen, dass solche Marketingkampagnen oft nicht den gewünschten Erfolg haben.
Reisen bildet und fördert kritisch-konstruktives Denken.
Es braucht einen Ansatz, der weit über das bloße Marketing hinausgeht und sich mit den tief verwurzelten Strukturen auseinandersetzt, die Frustration, Resignation und letztlich Abwanderung hervorrufen. Reisen bildet dahingehend, dass man bestehende Netzwerke und Strukturen (die zu diesen nicht-wünschenswerten Verhältnissen geführt haben) hinterfragt und aus einer kritischeren Perspektive betrachtet. Bisher ist es so, dass das destruktive Verhalten einzelner Platzhirsche dazu führt, dass innovative Konzepte diverser Fachleute zuerst abgelehnt, dann allerdings einkassiert und anschließend umgelabelt wurden (somit wurde geistiges Eigentum anderer Menschen entwendet, was weitläufig unter den Begriffen „Ideenklau“ oder auch „Plagiat“ bekannt sein dürfte).
Von erfolgreichen Modellstädten und Regionen lernen
Es braucht allerdings ein Umfeld des konstruktiven Arbeitens, in welchem die Stärken aller in der Region ansässigen Personen berücksichtigt werden – ohne dabei jene auszuschließen, aus deren Feder und Geist die Ideen tatsächlich stammen. In erfolgreichen Städten wie bspw. Kopenhagen bekommen schließlich ebenjene Personen, Einrichtungen und Betriebe eine starke sowie laute Stimme, die die ursprüngliche Idee hatten. Und genau das sollte gängige Praxis sein. Vielleicht sollten regionale Medien genau diesen Ansatz aufgreifen und einen konstruktiv-kritischen Journalismus betreiben, bei denen sie die aktuell bestehenden Strukturen kritisch hinterfragen und jene zu Wort kommen lassen, die wirklich etwas Positives bewirken wollen.